Sehr geehrter Herr Schmidt, grundsätzlich besteht ja nach wie vor die Möglichkeit manuell, also über das Öffnen der Fenster, zu lüften. Daher stellt sich natürlich die Frage, ob ein mechanisches Lüftungssystem überhaupt notwendig ist?
Schmidt: Aktuelles energiesparendes Bauen erfordert neben guter Dämmqualität luftundurchlässige Außenwände und Fenster. Um den hygienischen Luftaustausch allein über die Fensterlüftung sicher zu stellen, müsste die Wohneinheit im Durchschnitt alle 2 Stunden, auch nachts, ca. 5 – 10 Minuten mit Durchzug gelüftet werden. Dies kann der Bewohner weder leisten noch ist es Ihm zuzumuten.
Gibt es denn technische Möglichkeiten, die das Fensterlüften durch den Bewohner trotzdem ermöglichen?
Schmidt: Dies sieht die 2009 veröffentliche, überarbeitete Lüftungsnorm DIN 1946-6 ausdrücklich vor. Diese sogenannten freien Lüftungssysteme sind möglich, wenn der notwendige Luftaustausch bei Abwesenheit des Bewohners nutzerunabhängig durch entsprechende Außenwandventile sichergestellt wird.
Bei Anwesenheit des Bewohner kann dann die zusätzlich erforderliche Lüftung über das Öffnen der Fenster erfolgen. Bei diesen Systemen ist eine permanent hygienische Raumluftqualität nur bei entsprechend disziplinierter Mitwirkung des Bewohners erreichbar.
Welche kontrollierten, nutzerunabhängigen Lüftungssysteme gibt es?
Schmidt: Bei der kontrollierten Lüftung wird generell zwischen Systemen ohne und mit Wärmerückgewinnung unterschieden. Systeme ohne Wärmerückgewinnung (Abluftanlagen) sind einfache, zuverlässige kostengünstige Lüftungsanlagen, die ohne Öffnen der Fenster, den hygienischen Raumluftaustausch zuverlässig sicher stellen. Verbrauchte, feuchte und belastete Luft wird aus Küche, Bad und WC mit einem Ventilator über ein Rohrsystem abgesaugt und über Dach oder die Außenwand nach draußen abgeleitet. Die entsprechende Frischluft strömt über Außenluftdurchlässe in der Außenwand in die Wohn-, Kinder- und Schlafzimmer nach und stellt eine kontinuierliche Durchlüftung der gesamten Wohnung sicher.
Systeme mit Wärmerückgewinnung (Zu- und Abluftanlagen) ermöglichen als Komfortlüftung zusätzlich eine Mehrfachnutzung der zu bezahlenden Heizenergie im Winter. Ein Wärmeübertrager im Lüftungsgerät überträgt dann die Wärme der verbrauchten Abluft auf die zentral einströmende frische Außenluft und entlastet die Heizung. Wärmeübertrager gibt es in unterschiedlichen Bauarten. Beim klassischen Kreuzstromwärmeübertrager werden beim Lüftungswärmebedarf Rückgewinne von etwa 60 bis 80% erzielt und bei Geräten im Gegenstrom- oder Kreuzgegenstromprinzip und bei Rotationswärmeübertragern ergeben sich Werte von etwa 85 bis 90 %.
Mit kontrollierten, nutzerunabhängigen Systemen lässt sich eine gute Raumluftqualität ohne Einschränkungen erreichen. Selbstverständlich können die Fenster jederzeit geöffnet werden, jedoch in der kalten Jahreszeit wird dann der Wärmerückgewinn eingeschränkt.
Ihr Ratschlag in Sachen Lüftung an die Bauherren?
Schmidt: Möglichst nutzerunabhängige Lüftungssysteme vorsehen! Planer und Unternehmer sind gemäß DIN 1946 – 6, nicht zuletzt auch zur Vermeidung von Haftungsrisiken, aufgefordert und verpflichtet für jedes Bauvorhaben ob Neubau oder Sanierung ein Lüftungskonzept zur Sicherstellung des hygienisch notwendigen Luftaustausches zu erstellen.
Rolf Schmidt ist seit mehr als 43 Jahren als Architekt tätig und hat in den letzten 15 Jahren bundesweit individuelle, anspruchsvolle Einfamilienhäuser in Holzbauweise für private Bauherren geplant und gebaut. Heute engagiert er sich als Vorstandsmitglied im Bundesverband für Wohnungslüftung e.V. (VFW) mit Veröffentlichungen, Seminaren und Vorträgen für die ganzheitliche Planung von Baukonstruktion und moderner Haustechnik.
Weitere Informationen über Systeme der Heiz- und Lüftungstechnik finden sich unter » Bundesverband für Wohnungslüftung und unter der Webseite von Rolf Schmidt » www.wohnungslueftung-rs.de.